WELCHES SCHEIDUNGSRECHT IST ANZUWENDEN?
Beispiel für eine Güterstatutsspaltung:Beide Ehegatten sind zum Zeitpunkt der Eheschließung türkischer Staatsangehörigkeit. Der Ehemann hat eine Eigentumswohnung in Deutschland und verfügt daneben noch über diverse Bankguthaben. Für die güterrechtliche Auseinandersetzung über das Bankguthaben ist türkisches Güterrecht maßgebend. Für die güterrechtliche Auseinandersetzung über die Eigentumswohnung in Deutschland ist das deutsche Güterrecht maßgebend.
Für den Trennungsunterhalt war und ist unproblematisch das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HUÜ) von 1973).
Eine Änderung ist jedoch für den nachehelichen Unterhalt eingetreten: Das anzuwendende Recht für den nachehelichen Unterhalt bestimmt sich für Verfahren mit Türkeibezug nach dem jeweiligen Scheidungsrecht. Wurden die türkischen Eheleute nach türkischem Recht geschieden, so bestimmte sich der nacheheliche Unterhalt ebenfalls nach türkischem Recht. Da nun aufgrund des neuen Scheidungs-IPR der EU (Rom-III-VO) für in Deutschland beantragte Scheidungen generell deutsches Scheidungsrecht anzuwenden sein dürfte (s.o.), ist nun ebenfalls der nachehelichen Unterhalt nach deutschem Recht zu entscheiden. Dies gilt zumindest für nachehelichen Unterhalt zwischen türkischen Ehegatten, die nach dem 21.06.2012 einen Scheidungsantrag gestellt haben.
Im Ergebnis ist also bei türkischen Ehegatten für alle Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Der ordnungshalber soll hierbei die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 (EuUntVO) und das Haager Protokoll vom 23.11.2007 Erwähnung finden, welche neue Regelungen in Bezug auf das anzuwendende Recht im EU-Raum gebracht haben. Hiernach gilt das Recht des Staates, in dem die berechtigte Person ihren Aufenthalt hat. Ob diese Regelungen aber auch für Drittstaaten und somit auch die Türkei gelten, ist derzeit nicht geklärt. Am obigen Ergebnis ändert dies jedenfalls nichts.
Kindesunterhalt bestimmt sich unproblematisch nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen Aufenthalt hat; Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HUÜ) von 1973 (Deutschland und die Türkei sind Vertragsstaaten).
ELTERLICHE SORGE
Für die Regelung der elterlichen Sorge (und zum Umgang) wird bei einem Scheidungsverfahren in Deutschland deutsches Recht angewendet, wenn sich das Kind gewöhnlich in Deutschland aufhält; Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA) von 1961 (Deutschland und die Türkei sind Vertragsstaaten). Hier muss jedoch beachtet werden, dass die Türkei den Anwendungsbereich der MSA eng auslegt ("Schutzmassnahmen", nur vorläufige richterliche Massnahmen) und so Anerkennungshindernisse in der Türkei entstehen können. Ferner ist zum Beispiel im Falle der Anerkennung einer deutschen Sorgerechtsentscheidung in der Türkei zu beachten, dass das türkische Familienrecht kein gemeinsames Sorgrecht der Eltern nach der Scheidung vorsieht und gemeinsamer Sorgerechtsentscheidungen deutscher Gerichte vielfach die Anerkennung verweigert hat. Eine erneute gerichtliche Regelung über das Sorgerecht müsste ggfs. in der Türkei daher nachgeholt werden.
Bei Familiensachen mit Auslandsbezügen ist daher stets im Auge zu behalten, dass ein Urteil/Beschluss deutscher Gerichte auch vor türkischen Gerichten anerkannt und ggfs. vollstreckt werden kann. Bereits vor Einleitung eines Verfahrens in Deutschland bzw. der Türkei sollte man sich daher über die potenziellen Anerkennungshindernisse ("ordre-public") Kenntnisse verschaffen.
___________________________________________________________________________________________________________________________
Sie haben es bis zum Ende durchgelesen bzw. gescrollt? Vorzügliche Leistung. Auch wenn Sie vielleicht nun schlauer geworden sind, vergessen Sie nicht: in vielen Familiensachen besteht (noch) Anwaltszwang. Also scheuen Sie sich nicht mich zu engagieren.
(Stand: 23.09.2013)